Michael Armbruster – Im Räderwerk des Totalitarismus

 

 

 

Bildqeulle: http://pamiec.pl/pa/form/60,Zaloga-SS-KL-Auschwitz.html?l=2&page=3

 

Eine unerwartete Begegnung

Erste Eindrücke

Vom Kinzigtal nach Auschwitz

Das Urteil

Die Zeit danach


Eine unerwartete Begegnung

Vor einigen Wochen trat unversehens ein Mitbürger mit der Frage an mich heran, ob mir der Name Michael Armbruster ein Begriff sei. Da musste ich passen. Doch der Besucher wollte mich offensichtlich nicht auf die Folter spannen: Armbruster, werde ich informiert, sei bis 1945 als Aufseher im Vernichtungslager Auschwitz eingesetzt gewesen. Diese Begebenheit war mir allerdings nicht geläufig und weckte sogleich meine Neugierde. So vereinbarten wir den Austausch der Kontaktdaten und die Übergabe der entsprechenden Unterlagen als Ausgangsbasis für eine von mir zu erstellende Abhandlung. Und nach erfolgter Wahrnehmung eines Termins in der Innenstadt durfte ich noch am gleichen Vormittag einen in grün gehaltenen Ordner in Empfang nehmen, der mich mit der Person des Parteigenossen Armbruster näher vertraut machte.

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Erste Eindrücke

Ja, und jetzt halte ich ihn tatsächlich in den Händen.  Geschäftsmäßig banal kommt der Aufdruck „Akten Bürgermeister“ daher, der dem auf der Vorderseite befindlichen, altmodisch aufgemachten und hellbraun unterlegten Formblatt im oberen Drittel aufgedruckt ist. Aus der Blattmitte geht aber bereits hervor, dass Gegenstand des Schriftstücks „Entlassungsgesuche für Kriegsgefangene“ sind.

Beim Umblättern werde ich dann etwas stutzig: „…und Jugendgefängnis in Wittlich – Geschäftsstelle“ besagt der Stempel der Anstalt. Das Schreiben ist auf den 11. Oktober 1951 datiert. Zu jener Zeit war Armbruster, 1901 geboren, doch bereits ein Mann von 50 Jahren. Welche Verbindung mit einem Jugendgefängnis denn da bestehe, frage ich mich. Das zwingt mich zur ersten Internetrecherche. Und Wikipedia wird seinem Ruf als zuverlässiger Wissenslieferant wieder einmal in bester Weise gerecht. Dort erfahre ich, dass die heutige JVA Wittlich in der Tat eine Vorreiterrolle im Jugendstrafvollzug spielte, als 1912, im Jahr der Inbetriebnahme, noch die Hohenzollern über das Deutsche Reich herrschten. In der ausschließlich für männliche Gefangene konzipierten Anstalt waren Straftäter im Alter von 18 bis 21 Jahren (die Volljährigkeit wurde einem Bürger noch viele Jahrzehnte später erst in diesem Alter vom Gesetzgeber zugesprochen) inhaftiert.

Im Sommer 1943 musste die Einrichtung, die nunmehr als Strafgefängnis Wittlich firmierte,  die Rolle des Lückenbüßers einnehmen, als es darum ging, Gefangene des Kölner Gefängnisses Klingelpütz hier unterzubringen, deren bisheriger Aufenthaltsort durch alliierte Bombenangriffe stark beschädigt worden war. In den Nachkriegsjahren diente das Gefängnis den französischen Besatzern als Kriegsverbrechergefängnis Wittlich. Hier verbüßten die in der französischen Zone verurteilten Kriegs- und NS-Verbrecher ihre Haftstrafen. Eben auch der Kinzigtäler Michael Armbruster.

Noch im Dezember 1950 waren in Wittlich 254 verurteilte Kriegsverbrecher inhaftiert; diese Zahl wurde bis zum 31. Januar 1952 auf 154 Häftlinge reduziert. Dreieinhalb Jahre darauf, man schrieb August 1955, beherbergte Wittlich gerade noch 19 Häftlinge, die im Laufe der folgenden zwei Jahre sämtlich entlassen wurden. Nach Gründung der Bundesrepublik am 23. Mai 1949 normalisierte sich die Lage allmählich. Im Jahr darauf wurde das Jugendgefängnis Wittlich von den Franzosen an die deutsche Verwaltung übergeben, 1954 dann die Männerhaftanstalt.

 

„An den Herrn Bürgermeister in Hausach“ ist das auf der folgenden Seite plazierte, etwa halbseitige Amtsschreiben aus Wittlich adressiert, das Armbrusters „bedingte Entlassung“ zum Gegenstand haben wird. Es werde dringlich darum gebeten, Auskünfte über den zu Entlassenden auf den Seiten zwei und drei in französischer Sprache einzutragen und das Schreiben dann bei den Justizbehörden der Besatzungsmacht einzureichen. Dem Antrag habe in jedem Fall „eine gesonderte Bescheinigung über Existenzmöglichkeiten“ Armbrusters beigefügt zu werden. Für den Fall der Unmöglichkeit der erwünschten Vorgehensweise werde um eine kurze Begründung gebeten.

 

Unter dem Datum des 20. Oktober 1951 bestätigt das Bürgermeisteramt die Erledigung des Vorgangs an die Wittlicher Gefängnisverwaltung.

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Vom Kinzigtal nach Auschwitz

Der auf den Zweiten Weltkrieg folgende Kalte Krieg gab einst das Startsignal für die Entwicklung des Internets. Und ohne das wäre logischerweise auch Google nicht existent, jene Suchmaschine, deren Algorithmen uns allen eine unermessliche Wissensmenge beschert. Das bestätigt, wer die Dienste dieses von einem amerikanischen Studenten-Duo entwickelten technischen Wunderwerks auch nur einmalig in Anspruch genommen hatte. Dort erfahre ich z. B., dass 11 Stunden und 16 Minuten Fahrzeit, oder anders ausgedrückt: 1.055,7 km zu veranschlagen sind, wenn ich mich für die Fahrt von Hausach ins polnische Oświęcim entscheiden sollte. Einen Tag, nicht die Welt. Und doch trennen diese beiden Orte Lichtjahre, Universen. Hier das beschauliche, für buchstäblich jedes Schwarzwaldklischee taugliche Hausach, dort der zum Synonym für Monstrosität und Genozid gereifte Schreckensort.

Das glückliche Ende des bipolaren Machtkampfs, verbunden mit der Öffnung und Digitalisierung zahlreicher Staatsarchive auch der früheren Ostblockstaaten, verleiht dem Internet zusätzlichen Nimbus als El Dorado für (Hobby-)Historiker. Im vorliegenden Fall ist es der Freigabe von Dokumenten russischer Provenienz zu verdanken, dass nach Eingabe von „Michael Armbruster“ und „Auschwitz“ mir als Erstes eine in polnischer Sprache gehaltene Webseite gelistet wird, auf der Unterscharführer Armbruster mit einigen Informationen gespickt und in SS-Montur porträtiert erscheint. Etwas enttäuscht muss ich jedoch zur Kenntnis nehmen, dass selbst das Internet zur Person Armbrusters nicht allzu viele weitere Informationen parat hält. Die Seite www.jewishgen.org und eine weitere in polnischer Sprache verfassten Seite führen Armbruster als in Auschwitz Tätigen mit einer kurzen, nahezu identischen Notiz an.

Die Reise dorthin war für Michael Armbruster bei der Geburt kurz nach der Jahrhundertwende im 1971 zu Hausach eingemeindeten Einbach wohl nicht voraussehbar. Das 30 Jahre vor Armbrusters Geburt proklamierte Deutsche Reich spielte zu jener Zeit auf der internationalen Bühne im Wettstreit mit konkurrierenden Mächten wie Großbritannien oder Frankreich eine tragende Rolle. Deutschland war innerhalb weniger Jahre in die erste Riege der Wirtschaftsmächte aufgestiegen und besaß bereits einen ansehnlichen Kolonialbesitz in Übersee, vor allem auf dem afrikanischen Kontinent. Kaiser Wilhelm der Zweite saß fest im Sattel der administrativen Verantwortung, obgleich sich bei diesem schon zu jener Zeit ein recht ungestümes Wesen offenbarte. 14 Monate vor Armbrusters Geburt schreckte der Monarch die Welt mit der Entsendung des Ostasiatischen Expeditionskorps zur Niederschlagung des Boxeraufstandes im Kaiserreich China auf. Insbesondere die in Bremerhaven den Soldaten mit auf den Weg gegebenen Worte des Monarchen finden bis heute permanenten Widerhall in den Annalen: „„Kommt ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer euch in die Hände fällt, sei euch verfallen! Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in Überlieferung und Märchen gewaltig erscheinen läßt, so möge der Name Deutscher in China auf 1000 Jahre durch euch in einer Weise bestätigt werden, daß es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen!“ Die Grauen des Ersten Weltkriegs – Armbruster ist bei dessen Ausbruch 13 Jahre alt – werfen ihre Schatten voraus.

Dessen fatale Einschnitte scheinen auf Michael Armbrusters unmittelbares Umfeld, folgt man der spärlich skizzierten Biographie, jedoch keine nennenswerten Auswirkungen zu haben. Nach dem Besuch des Gymnasiums und einer anschließenden Banklehre reüssiert der Einbacher später als Leiter einer örtlichen Genossenschaftsbank. 1933 wird dann nicht nur für Deutschland, sondern auch für ihn selbst zu einem persönlichen Wendejahr: Der 32jährige verlässt den Bankschalter und startet im Baugewerbe als Inhaber eines Steinbruchs und eines Baustoffhandels neu durch. Und unter der Nummer 1.800.000 wird Armbruster Teil des nach Millionen zu zählenden Mitgliederstamms der NSDAP.

Am 10. Juli 1940, der Zweite Weltkrieg zerstört Europa seit mittlerweile einem Dreivierteljahr, erfolgt Armbrusters Einberufung zur 15. SS-Totenkopf-Standarte nach Ostpreußen. Dem schließt sich die Infanterie- und Panzerjägeraubildung im zentralpolnischen Plock an. In selbiger Gemeinde wurden im März 1941 – die Stadt war von den deutschen Besatzern mittlerweile in Schröttersburg umbenannt worden – die Juden des Ortes, die bis dahin etwa ein Viertel der Einwohner stellten, in Konzentrationslager deportiert. Es ist müßig sich auszumalen, ob der eine oder andere der Deportierten später in Auschwitz dem SS-Unterscharführer Armbruster begegnet ist.

Dorthin nämlich sollte Armbruster wegen seiner kaufmännischen Qualifikationen in der Häftlingsverwaltung, Abteilung GEV (Gefangeneneigentumsverwaltung) in Bälde eingesetzt werden. Die amtliche Vorgabe für die dort Tätigen lautete, das Eigentum der Gefangenen zu „verwalten“ und bei Transportankünften stets auf der Rampe anwesend zu sein. Diese Aufgaben muss Parteigenosse Armbruster offenbar zur vollen Zufriedenheit seiner Vorgesetzten ausgeübt haben. Denn als die anrückende Rote Armee am 27. Januar 1945 dem unsäglichen Morden in Auschwitz ein Ende bereitet, gehört Armbruster laut Auskunft des Fritz-Bauer-Instituts noch bei der Auflösung des Lagers zu dessen Stammpersonal.

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Das Urteil

Die daraus resultierenden Konsequenzen sollten ihm alsbald gewahr werden. Im Juli 1945 erfolgt in Hausach die Festnahme durch die französischen Behörden und am 21. Januar 1948 durch die zweite Strafkammer des Obergerichts der Militärregierung der französischen Besatzungszone in Rastatt der Richterspruch: 12 Jahre Haft und Zwangsarbeit wegen begangener Kriegsverbrechen im Sinne des Gesetzes Nr. 10 des Alliierten Kontrollrats. Die Begründung: Armbruster habe Deportierte, bei denen es sich konkret um jüdische, slowakische Haftlinge weiblichen Geschlechts gehandelt habe, misshandelt und und diese „zu ermüdenden Leibesübungen“ gezwungen. Sadismus erkennt die Anklageschrift auch in zwei weiteren Punkten: ein norwegischer Jude soll von ihm eigenhändig geschlagen, bzw. – so der Vorwurf – habe er einer anderen Person einen derartigen Auftrag erteilt, dies zu tun, um dessen Brillant-Armbanduhr gewaltsam konfiszieren zu können. Darüber hinaus, so die Urteilsbegründung, seinen Lagerinsassen „zu übermäßigen Blutspenden gezwungen“ worden.

Diese Vorwürfe will der Delinquent so nicht auf sich sitzen lassen. In einer Rechtfertigungsschrift, von ihm am 12. Januar 1951 in der Strafanstalt Wittlich verfasst, verteidigt sich Armbruster mit dem Hinweis, in Auschwitz lediglich Bürotätigkeiten nachgegangen zu sein, wobei der Schwerpunkt dieser Tätigkeit auf der „Sortierung von Kleidungs- und Wäschestücken eingelieferter Gefangener“ gelegen habe. Alle Anklagepunkte weist er konsequent von sich. Dieses offenkundige Bemühen, damit so etwas wie einen nachträglichen „Persilschein“ ergattern zu können, erweist sich als fruchtbar: Am 09. Juli 1951 wird Reststrafe nach gerade einmal dreieinhalbjähriger Haft erlassen und die Gefängnistore öffnen sich für Armbruster. Doch aus den Akten geht auch hervor, dass das Ganze offensichtlich nicht ganz ausgestanden war. Denn aus den Jahren 1971 und 1977 datieren Vernehmungsprotokolle, die Armbrusters Wirken in Auschwitz zum Gegenstand haben.

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Die Zeit danach

Im Frühjahr 1985 stirbt Armbruster mit 84 Jahren. 40 Jahre sind damals seit Kriegsende vergangen. In einer vielbeachteten Rede zu dessen Jahrestag stellt Bundespräsident Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 fest: „Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen“. Im Verlauf geht das Staatsoberhaupt auch auf Auschwitz ein, und betont dessen Singularität. Der amerikanische Historiker Raul Hilberg, selbst jüdisch-österreichischer Herkunft, beziffert die Gesamtzahl der in Auschwitz ermordeten Juden auf eine Million. Grundlage seiner Arbeiten hierfür war das „Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau“ von Danuta Czech, das eine Auflistung der nach Auschwitz führenden Transporte beinhaltet.

Abschließend steht an dieser Stelle vielleicht die Frage im Raum, ob man in Michael Armbruster so etwas wie die „Banalität des Bösen“ zu erkennen vermag, die die Philosophin Hannah Arendt dem in Jerusalem angeklagten Adolf Eichmann attestierte. Das soll an dieser Stelle nicht beurteilt werden und dem akademischen Publikum überlassen sein. Doch ist seine Biographie nur im Kontext der Irrungen und Wirrungen des zurückliegenden 20. Jahrhunderts zu verstehen, dessen Quintessenz wohl am ehesten darin begründet liegen mag, jeder staatlichen Machtballung, vor allem wenn sie eine Verbindung mit totalitärem Gedankengut eingeht, stets eine konsequente Absage zu erteilen. Das ist das Vermächtnis der Opfer. Und alleine ihretwegen lohnt die Aufarbeitung einer Schreckensherrschaft. Tyranni disperderet!

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